Video-SLR oder Video und SLR?

Die ersten videofähigen Spiegelreflexkameras (Video-SLRs) haben seit einem Dreivierteljahr für viel Begeisterung gesorgt. Video-Amateure verkauften ihre Camcorder, die Zubehörhersteller verbesserten die Handhabung durch spezielle Halterungen und die Videoplattformen im Internet werden von einem fröhlichen Haufen wildgewordener Ex-Photographen überrannt.

Doch ist die Kombination von Video und Photo der bestmögliche Weg? Sind die Anforderungen an das jeweilige Gebiet nicht zu unterschiedlich?

Das „Problem“

Obwohl die Aufnahme von Stand- und Bewegtbildern einiges gemeinsam hat – und deshalb moderne Aufnahmegeräte meistens auch beides können – gibt es doch weiterhin bedeutende Unterschiede sowohl bei der Handhabung, als auch bei der Technik.

Das ist auch der Grund, warum man mit Camcordern nur schlecht photographieren und mit Photoapparaten nur schlecht Videos aufnehmen kann – die Form des Gerätes, Größe, Gewicht; sowie optische und elektronische Bauteile sind für den jeweiligen Haupteinsatzzweck optimiert. Trotzdem werden gerade in diesen Monaten viele Photoapparate zur Videoaufnahme „mißbraucht“ – und das nicht von unwissenden Anfängern oder Leuten, die kein Geld ausgeben wollen. Viele Profis sind von den gestalterischen Möglichkeiten der neuen Video-SLRs begeistert. Haben die Hersteller damit die perfekte Kombination von Photo- und Videokamera geschaffen? Oder geht es nicht noch ein wenig besser?

Technik

Die Technik der modernen Aufnahmegeräte ähnelt sich. Sowohl für Bewegt- als auch für die Standbildaufnahme benötigt man ein Objektiv, einen Sensor, eine Verarbeitungseinheit, ein Speichermedium, einen Akku und eine Anzeigemöglichkeit.

Der Photograph verbringt einen großen Teil seiner Zeit beim Photographieren außerdem mit dem Blick durch einen optischen Sucher, der über dem Spiegelkasten angebracht ist. Der dort eingebaute Schwingspiegel sorgt dafür, daß der Photograph seit vielen Jahrzehnten genau den Ausschnitt sieht, der später auf dem Film landet. Die Gattung „Spiegelreflexkamera“ (oder auf Englisch etwas genauer: „Single Lens Reflex (SLR)“) erhält dadurch ihren Namen. Der Blick durch den optischen Sucher ist im Vergleich mit einem elektronischen immer noch verzögerungsfrei(-er), schärfer und zum Scharfstellen besser geeignet. Obwohl es mit dem Micro-FourThirds-Standard nun die ersten Kameras mit Wechselobjektiven, aber ohne Spiegel, gibt, bleibt der Spiegel in der Oberklasse der Kameras wohl noch eine Weile erhalten (und persönlich finde ich das auch gut so – sollte man sonst, wie in digitalen Kompaktkameras üblich, das befriedigende Geräusch des Spiegelschlags per Lautsprecher ausgeben?).

Bei der Videoaufnahme ist der Spiegel allerdings nutzlos, darum ist er ständig aus dem Weg geklappt – sonst könnte kein Licht auf den Sensor fallen. Eine Videokamera braucht daher keinen Spiegel und auch kein Prisma und keinen optischen Sucher.

Dafür benötigt die Videokamera eine bessere Sensorkühlung. Bei den heutigen Video-SLRs (5D Mark II, D90) muß man nach 1-2 Stunden Videoaufnahme eine Zwangspause einlegen, damit sich die Kamera wieder abkühlen kann. Nach ungefähr dieser Zeit muß allerdings sowieso der leere Akku gegen einen aufgeladenen getauscht werden.

Photokameras wie die Canon 5D Mark II haben die Grenze von 20 Megapixeln erreicht und durchbrochen. Was für die Photographie feiner aufgelöste Photos und die Möglichkeit noch größerer Abzüge bedeutet, ist für Videoaufnahmen (zur Zeit noch) sinnlos. Die große HD-Auflösung von 1920×1080 käme mit einem 2-Megapixel-Sensor aus (vielleicht etwas mehr wegen des Bayer-Patterns).

Die 5D Mark II hat auch sichtbare Probleme damit, ihren hochauflösenden Sensor im Videomodus schnell genug auszulesen – Aliasing und Moires sind die Folge.

Handhabung

Noch mehr als die Technik ist die Form der Kamera an die typische Handhabung durch den Benutzer angepaßt. Die SLR hält man ans Auge, normalerweise wird das Hauptgewicht von der rechten Hand getragen, deren Zeigefinger auf dem Auslöser liegt. Die linke Hand greift stützend um das Objektiv, mit ihr kann man fokussieren oder zoomen. Alles ist darauf ausgerichtet, im kurzen Moment des Auslösens nicht zu wackeln – und so den Ausschnitt zu halten und keine Verwackelungsunschärfe ins Bild zu bringen. Ein Photoapparat liegt nur in beiden Händen wirklich sicher.

Bei der Videokamera ist es nicht so wichtig, ob man durch Druck auf den Aufnahmeknopf die Kamera leicht erschüttert – wichtig ist, sie während der dann folgenden Aufnahme möglichst ruhig zu halten.

Die meisten Videokameras kann man im Gegensatz zu ihren standbilderzeugenden Brüdern mit einer Hand halten.

Ein dreh- und schwenkbares Display gehört seit Jahren zur Standardausstattung von Camcordern. Weisen sie oben noch einen Henkel auf, kann man so bequem bodennahe Aufnahmen machen. Auch aus der Hüfte oder vom über den Kopf gestreckten Arm aus kann man dank Schwenkdisplay noch aufnehmen – und so leicht Perspektiven einnehmen, die vom normalen Standpunkt (auf Augenhöhe) abweichen.

Ein Vorschlag

Wie man sieht, gibt es viele Gemeinsamkeiten in der Technik, aber auch bedeutende Unterschiede, welche sich vor allem in der Handhabung bemerkbar machen. Um eine möglichst gute Videokamera herzustellen, müßte man neue Funktionen hinzufügen und andere weglassen, die in der Photographie nützlich und wünschenswert sind. Eine Kombination von Photo- und Videofähigkeiten, also eine Video-SLR, wird immer ein Kompromiß bleiben. Was könnten die Hersteller tun?

Die großen Hersteller von Photokameras verkaufen nicht nur Kameras, sie bieten ein System an. Ein vielfältiges, aufeinander abgestimmtes System aus Kameras, Objektiven, Blitzen, Software und weiterem Zubehör. Eine Kamera bildet nur die Basis dieses Systems und ist ohne Objektive nutzlos. Besitzer von vielen Objektiven sehen sogar eher die Objektive als Basis des Systems, an die man mit Hilfe von Adaptern auch Kameras anderer Hersteller anschließen kann. Auch kann der Wert von guten Objektiven leicht den Wert der Kamera übersteigen.

Was läge näher, als eine neue Kameraklasse ins bestehende System von Nikon oder Canon aufzunehmen? Eine speziell für die Videoaufnahme konstruierte Kamera ohne Sucher und Spiegel, aber mit dem gleichen Bajonett und gleichem Zubehör wie der Rest des Systems?

Konkret

Hier ist mein Vorschlag an Nikon oder Canon oder den Hersteller, der ihn gern aufgreifen möchte.

Nennen wir die erste Version dieser Kamera (in diesem Beispiel bezogen auf Nikon) – die Nikon V1.

  • 4- oder 5-Megapixel-Sensor im Kleinbild-Vollformat
  • Nikon-F-Bajonett mit AI-Kupplung
  • Speichermedium: CF-Karten, 2 Fächer
  • die gleichen Akkus wie bei der D700 oder D3, 2 Fächer
  • Quaderformat, schmale Seite vorn mit dem Bajonett
  • großes (4-Zoll?) Klappdisplay an der langen Seite des Gehäuses
  • 1920×1080 Pixel mit 24, 25, 30 bis 120 fps
  • hohe Datenraten und guter Codec (z.B. Apple ProRes 422 HQ), 10 Bit, 4:2:2, geringe Kompression

Die RED One von vorn. Bei einem ähnlichen Gehäuseformat könnte das große Klappdisplay bei Nikon auf der Seite sein, wo bei der RED der Firmenname steht.

Vorteile

Aus der Spezialisierung auf die Videoaufnahme ergeben sich einige Vorteile. Die Kamera ist mechanisch einfacher aufgebaut und potentiell preiswerter, da auf Spiegel und optischen Sucher verzichtet wird. Durch die für Photoverhältnisse geringe Sensorauflösung kann der Sensor komplett ausgelesen werden – Aliasing und Moires werden vermieden. Durch die im Verhältnis riesige Größe der einzelnen Sensorzellen ergibt sich eine bisher unerreichte Lichtempfindlichkeit. CF-Karten bieten von allen Standard-Datenträgern auf Flash-Basis die beste Geschwindigkeit und lassen sich auch mit Photoapparaten verwenden. Gleiches gilt für die Akkus – Besitzer einer D700 oder D3 könnten die gleichen Akkus verwenden und bräuchten nur ein Ladegerät. Alle Objektive des Nikon-Systems, vom Fisheye bis zum Supertele, könnten (durch den Vollformat-Sensor, bezogen auf Kleinbild) mit dem selben Ausschnitt an der Videokamera benutzt werden. Das große, seitlich angebrachte Schwenk-Display böte mit einer hohen Auflösung eine gute Möglichkeit zum genauen Fokussieren.

Preisfrage

Was müßte oder könnte so eine Kamera kosten? Im Moment (Juli 2009) kostet eine Nikon D700 mit FX-Sensor rund 2000 EUR. Die Videokamera kann auf Spiegel und optischen Sucher verzichten und spart dadurch etwas ein. Allerdings ließe sie sich vermutlich nicht in denselben Stückzahlen absetzen wie eine Photokamera. Schlagen wir für diesen Umstand 50% auf den Endpreis drauf, erhalten wir 3000 EUR. Dies wäre auch der Preis, den ich gerade noch für eine solche Kamera bezahlen würde.

Was werden die Hersteller tun?

Aus meiner Sicht böte sich die Entwicklung einer Videokamera, welche in das bestehende Photo-System paßt, geradezu an. Natürlich muß diese Ansicht nicht die Ansicht von Nikon oder Canon sein. Es sprechen nämlich auch einige Dinge gegen diese Möglichkeit. Zuerst einmal muß eine neue Kamera für einen kleineren Markt entwickelt werden. Dies erfordert Mut und der ist vermutlich nicht breit gesät in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Außerdem ist eine Hybrid-Kamera, also eine Video-SLR, am praktischsten, wenn man nur eine Kamera für beide Zwecke mitnehmen möchte und keine hohen Ansprüche an die Videofähigkeiten stellt. Aus Kundensicht sind es „zwei Geräte in einem“, auch wenn Funktionen unter diesem Kompromiß leiden.

Andererseits haben Hersteller wie Canon und Nikon viele Vorteile gegenüber einer Firma wie RED – ein ausgebautes System an Objektiven und Zubehör, große Fabriken, Erfahrung in der Entwicklung von Kameras, Prozessoren und Software, ein Händlernetz. Nicht zuletzt haben sie viele Anwender, welche bereits Objektive dieses Systems besitzen – und eine Videokamera als Erweiterung ihrer Möglichkeiten sehen könnten.


 
 
 

Ein Kommentar zu “Video-SLR oder Video und SLR?”

  1. Ole M. Werner
    18. August 2009 um 14:33

    Nach meiner Erfahrung ist der Umgang mit den SLRs auf Filmobjektiven vom „Feeling“ her der selbe wie bei einer Richtigen 35mmm Filmkamera. Das kommt wohl daher, dass die SLR gegenüber den Videokameras eben ein prisma System besitzt und so sich die Schärfe beim Dreh vom Kameramann besser beurteilen lässt. Videosysteme mit 35mm Objektiv Adaptern können nur anhand des elektronischen Suchers oder des LCD Bildschirm beurteilt werden… und das kann man nicht beurteilen, da die Auflösung zu schlecht ist. 35mmVideo Adapter sind zwar ne schicke Sache, aber man braucht extrem viel vertrauen in den Schärfenassistenten und darf nicht verwirrt sein von dem was man dreht und dem was man durch den Sucher sieht. Deswegen denke ich, ist der Ansturm auf die SLR von der Profiseite zu erklären…